Ein Besuch bei Berlins Bürgermeister Müller
Unter dem Motto „Füreinander“ lud SPD-Bürgermeister Michael Müller gestern in der Heilig-Kreuz Kirche in Kreuzberg zum Dialog. Empfangen wurde er von lautstarkem Protest gegen seine Wohnungspolitik – Tenor war die Forderung nach öffentlichem Wohnungsbau statt neuen Subventionen für private Bauherren. In Anspielung auf die engen Verbindungen der Berliner SPD zur Unternehmensberatung McKinsey wurde Michael Müller mit Sprechchören empfangen „Schluss mit dem McKinsey-Müller, Sozialismus ist der Knüller“.
Eine halbe Stunde bevor der Bürgermeister eintraf und der Saal sich füllte, hatten AktivistInnen bereits mit dem Transparent „Berlin für Alle – Gegen den Senat des Schreckens“ Stellung bezogen, daneben prangte in Rot der Schriftzug „Wohnraum für alle statt Edelkiez“. Die Kampagne „Berlin für Alle“ ist seit Anfang des Jahres aktiv, seit einer Stadtpolitischen Konferenz im Februar arbeiten dort auch Aktive des Berliner Mietenvolksentscheids mit. „Unsere Stadt hat keine Flüchtlingskrise, sondern ist kaputtgespart“, lautete eine Kernausage auf ihren Flyern. Sie fordern ein Ende der „Kommunalen Austerität“, statt Privatisierung und Sparpolitik den Neuaufbau einer sozialen Infrastruktur. Für Geflüchtete und Alteingesessene gleichermaßen – ein soziales Berlin für alle soll der rassistischen Spaltung von AfD und Konsorten entgegengesetzt werden.
Etwa vierzig Menschen sammelten sich hinter den Protestbannern. Auch gekommen war die Initiative „Stadt von Unten“, die für eine kommunale Entwicklung des vier Hektar großen Dragoner-Areals am Kreuzberger Mehringdamm kämpft. Mit dabei hatten sie ihren Symbolischen Euro, eineinhalb Meter im Durchmesser. Gedacht war dieser als Kaufpreis für das Areal und zugleich eine Anspielung auf die Schnäppchenpreise, mit denen in der Vergangenheit öffentliches Eigentum in Berlin an „Investoren“ vergeben wurde.
Füreinander – aber bitte ohne Volksentscheide
Ebenfalls dabei war die Initiative „Volksentscheid retten“, die sich für eine Vereinfachung der Gesetze zur Durchführung von Volksentscheiden einsetzt – gefordert werden niedrigere Quoren und die Möglichkeit eines Referendums, falls der Berliner Senat durch Volksentscheid zustande gekommene Gesetze wieder kippt oder verwässert.
Denn direkte Demokratie ist nicht Teil von Michael Müllers „Füreinander“. Bereits der Mietenvolksentscheid wurde mit harten Bandagen bekämpft, das „Wohnraumförderungsgesetz“ des Senats enthielt nur einen Teil der von 50.000 Unterzeichnern vorgebrachten Forderungen und wurde auf den Flugblättern von „Berlin für alle“ als „Abfanggesetz“ zum Abwürgen des Volksentscheids kritisiert. Gleichzeitig genehmigte der Senat vor kurzem den Einsatz von Steuergeldern für Kampagnen gegen zukünftige Volksentscheide – bisher war eine solche Manipulation der öffentlichen Meinung verboten, beim Entscheid gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes 2013 musste die SPD ihre Bauplakate noch aus der Parteikasse zahlen.
Auf Filz gebaut
Schon damals wurde den Berlinerinnen und Berlinern die Bauwirtschaft als Lösung der Wohnungskrise empfohlen – geändert hat sich daran bis heute wenig. Müller und seine Partei wurden vor kurzem durch den McKinsey-Skandal durchgeschüttelt, bei dem es um die freihändige Vergabe von teuren Beratungsleistungen ging. Am selben Tag als Müller in Kreuzberg sein „Füreinander“ verkündet, platzte der nächste Skandal: Fast 100.000 Euro hatte der Immobilienunternehmer Klaus Groth an die Berliner SPD und die CDU gespendet, gestückelt in Beträgen unter zehntausend Euro, um die Veröffentlichungspflicht zu umgehen. Einige Spenden gingen direkt an SPD-Kreisverbände, Darunter auch Lichtenberg – der Kreis, in dem der SPD-Bausenator Andreas Geisel kandidiert. Offensichtlich versteht der Berliner Baufilz Müllers „Füreinander“ nur allzu gut.
Als Müller schließlich mit schwarzer Limousine eintraf, wurde schnell klar, was Mieterinnen und Mieter aus den sozialen Bewegungen von diesem „Füreinander“ halten: „Schluss mit dem McKinsey-Müller, Sozialismus ist der Knüller“, schalten ihn Sprechchöre. Müller ertrug es kommentarlos mit ausdrucksloser Miene.
Bürgerdialog – die SPD redet mit sich selbst
Bereits beim Verteilen der Flugblätter fiel auf, dass es abends in Kreuzberg kaum noch jemanden zu interessieren scheint, ob der Bürgermeister vorbeikommt oder nicht. Einige RentnerInnen und AnwohnerInnen fanden sich ein, dazu bekannte Gewerbetreibenden des Viertels, für die ein guter Draht zu Politik und Ordnungsamt natürlich Geschäftsgrundlage ist. Ansonsten dominierten bis kurz vor Veranstaltungsbeginn Veranstaltungsmanagement, Security und SPD-Hauptamptliche in Cordanzügen das Bild, unterstützt von der einen oder anderen Abgeordneten. Im Mietenvolksentscheid Aktive erkannten zudem einige prominente Gesichter aus der Senatskanzlei wieder, denen sie bei diversen Gesprächsterminen begegnet waren. Offensichtlich wollte Müller nichts anbrennen lassen und so wurde erst einmal der eigene Apparat mobilisiert.
Dementsprechend zahnlos verlief der Dialog selbst. Die Protestkundgebung verzichtete auf ein kollektives Go-In, bei dem sie wahrscheinlich in der Mehrheit gewesen wäre. Einzelne trugen dennoch ihre Anliegen in den Saal – wo Bürgermeister Müller sie mit dem mattgrauen Charme einer Teflonpfanne abperlen ließ.
Weiter so: Visionslose SPD im Dialog
Vermeintlich mutig stellte Müller sich die gesamte Veranstaltung über den Fragen aus dem Publikum – Themen von Bildung über Tourismus bis Wohnraum bewegten die Anwesenden. Der offene Modus erstickte allerdings jeden Ansatz einer kontroversen Diskussion, denn Müllers Standardantwort lautete immer nach dem gleichen Schema: Dieses Problem haben wir wahrgenommen! Da machen bereits dieses und jenes (was zugegebenermaßen nicht so gut funktioniert)! Weitere Ideen haben wir nicht und/oder da kann man nichts weiter machen (da ist der Bund zuständig, dafür fehlt das Geld, was sollten wir dem Finanzmarkt entgegen stellen)! Also: weiter so! Die Veranstaltung hinterließ den Eindruck, dass es nicht die „Bürger_innen“ sind, die Politikverdrossen sind, sondern die Politiker_innen selbst. Wenn selbst der Oberbürgermeister von Berlin darüber scherzt, er „habe auch davon gehört“, dass seine Partei an der Bundesregierung beteiligt sei, wird klar: Diese SPD hat keine Visionen für eine solidarische Stadt und schon gar keine Ambitionen, eine solche Durchzusetzen.
Ganz egal, ob wir nach den Wahlen mit „RotRotGrün“ enden oder bei einer Neuauflage von Schwarz-Rot: das „Füreinander“ des Senats wird weiter eines von Politik und Privatwirtschaft bleiben. Alternativen für Berlin – gegen die Verelendung der Stadt, gegen die rassistische Spaltung, müssen von Initiativen „von unten“, außerhalb des institutionalisierten Politikbetriebes auf die Agenda gesetzt werden. Denn wirkliche Lösungen für die dringenden Probleme dieser Stadt sind von Seiten des Senats auch nach der Wahl nicht zu erwarten.